Mit einiger Verzögerung, aber jetzt doch: Österreich bekommt eine neue Regierung. Manche sehen die Demokratie in Gefahr, manche sehen den Weg frei für längst nötige Reformen. Was kann das für die Gesetzeshüter im Lande bedeuten? Die Glaskugel in unserer Redaktion glüht!

Und wieder, wenn Sie, werter Leser, unser Blatt in Händen halten, sind Sie klüger als ich. Das ist schon prinzipiell so, aber durch die Zeitverzögerung des Produktionsablaufs unserer Zeitschrift (Revidieren des Textes in allen Parteizentralen, inkl. den Anwälten von George Zoros, Vladimir Putin und dem Papst, die Überweisung der Schweigegelder auf unsere Bitcoin-Wallets, Sie kennen das), wissen Sie vielleicht schon Details, die mir jetzt noch verwehrt waren. Danke für Ihre Nachsicht!
Wer kommt? Spannend wird vor allem, wie die Ressorts aufgeteilt werden. Wird es unter Herbert Kickl endlich ein Männerministerium geben? Mit einem Staatssekretär für Volksmusik, Grillen von Schweinefleisch und der Förderung von Verbrenner-SUVs? Ich wäre sehr dafür, aber das ist natürlich nur meine private Meinung. Spannend für uns ist primär, wer das Innenministerium bekommen wird. Wird der ehemalige Innenminister das für seine Agenden wichtige Ressort einfordern? Nach 20 Jahren schwarzer Innenminister sind die Führungskräfte großteils Rot-weiß-rot besetzt. Das Copyright für diese Wortschöpfung liegt natürlich beim unvergessenen Ernst Strasser, der sich damals – völlig aus der Luft gegriffener – Vorwürfen der Umfärbung von Rot auf damals noch Schwarz ausgesetzt sah.
Kontinuität? Man könnte natürlich die Funktion eines Generalsekretärs revitalisieren, der über allen Sektionschefs steht und als verlängerter Arm des Ministers dient. Eine Umfärbung von Türkis auf Blau wäre ein ziemliches Mammutprojekt, und schon auf Grund der nicht so dicht gewebten Personaldecke schwierig umsetzbar. Dazu später mehr. Nun, da FPÖ und ÖVP in Fragen von Sicherheit und Migration nicht weit auseinander liegen, könnte das Innenressort in türkiser Hand bleiben. Wer von den älteren KollegInnen die großen Reformen mit und nach Strasser miterleben „durfte“, hat kein gesteigertes Bedürfnis nach großen Veränderungen. Die Redaktions-Glaskugel sagt dazu also eher nein. Aber was heißt das heute schon, wer hätte damit gerechnet, dass die NEOS und die SPÖ den Elfmeter einer Regierungsbeteiligung trotz mäßiger Wahlergebnisse verschießen? Und wer hätte nach Ibiza einen Cent darauf gesetzt, dass wenige Jahre später der von Sebastian Kurz geschasste Innenminister Kanzler werden kann? Deshalb liebe ich die Politik, da gibt’s mehr Überholmanöver als in einer ganzen Formel 1-Saison.
Liefern! Interessant wird, wie ein Kanzler Kickl seine zentralen Forderungen umsetzen will. Die lustige Zeit ist für ihn nun vorbei. Anstatt zu fordern was einem gerade in den Sinn kommt, muss er liefern, muss umsetzen, muss Lösungen finden. Und das bedeutet in einer westlichen Demokratie Allianzen finden, und Widerstände von vielen Seiten. Die Landeshauptleute, die Sozialpartner und nicht zuletzt die Höchstgerichte haben ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Macht verteilt sich auf mehrere Köpfe, was Vor- und Nachteile hat. Es wird beispielsweise spannend, wie das Migrations- und Bildungsproblem in Wien gelöst werden soll, da die Ludwig-SPÖ hier eine eher divergierende Sichtweise hat und im April in Wien die Wahlen anstehen. Karl Mahrer hat sich schon in Position gebracht und kritisiert lautstark die Politik im Rathaus. Dominik Nepp sieht seine Chance, den blauen Rückenwind auch in Wien umzusetzen. Simmering gegen Kapfenberg (für die jüngere Generation: googelt Helmut Qualtinger) war dagegen nur eine Polsterschlacht im Mädchenpensionat.
Steiniger Weg. Kickl ist primär mit dem Versprechen angetreten, Versäumnisse bei der illegalen Migration und der Integration zu reparieren. Und gerade hier gibt es zahlreiche internationale Rechtsnormen und Abkommen, die es zu beachten gilt. Über allem wacht der EuGH. Nun, Gerichte können nur Gesetze umsetzen, und Gesetze kann man ändern, da liegt es am politischen Willen. Italiens rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat große Probleme ihre Asyllager in Albanien zum Laufen zu bringen. Die Gerichte haben das Projekt einmal gestoppt. Diese Thematik wird natürlich auch unmittelbare Auswirkungen auf unsere Arbeit haben, weshalb die Exekutive besonders interessiert ist, welche Pläne hier in der blauen Lade schlummern. Und ob sie in der Realität praktikabel sind.
Must have! Kickl hat sich im Wahlkampf gegen eine Überwachung von Messengerdiensten ausgesprochen. Ich denke, er war da von seinen eigenen Leuten nicht gut informiert. Wie auch damals in der Causa BVT, aber das ist eine andere Geschichte. Türkis hat sich klar für eine Überwachung ausgesprochen. Gerade wenn man den Terrorismus, islamische Hassprediger im Netz und die Organisierte Kriminalität bekämpfen will, geht das ohne eine adäquate Überwachung der Kommunikation nicht. Solche Überwachungen müssen von Gerichten angeordnet und dem Rechtsschutzbeauftragten vorgelegt werden, der Rechtsstaat ist hier ziemlich rigoros. Die StPO hat das letzte Mal vor 27 Jahren eine neue Ermittlungsmethode geschaffen, das war der große Lauschangriff. Hat sich die Welt seither verändert? Deshalb sagt die Redaktions-Glaskugel, dass eventuell blauer Widerstand wegdiskutiert werden kann. Als Praktiker befürchte ich nur, dass der Level für die Möglichkeit einer Überwachung zu hoch angesetzt wird, wie z. B. beim großen Lauschangriff. Ich kann aber die Capos der OK nur zur Strecke bringen, wenn ich auch ihre Handlanger, ihre Straßenhändler, überwachen kann. Hoffentlich sitzen da die richtigen Leute in den Arbeitsgruppen!
Justitia, quo vadis? Mittelbar betrifft den Sicherheitsapparat natürlich auch die Entwicklung in der Justiz. Das Innenressort hatte in den letzten Jahren Steigerungen im Budget und bei den Planstellen. Alma Zadic war da weniger erfolgreich, obwohl ihr Parteifreund Kogler als Vizekanzler auch für die Planstellen bei der Justiz zuständig war. Strafverfahren werden grundsätzlich umfangreicher und komplizierter. Das liegt an mehr Verständigungspflichten genauso wie an mehr technischen Möglichkeiten der Aufklärung, die natürlich angeordnet und auch ausgewertet werden müssen. Es ist kein großes Geheimnis, dass die Staatsanwaltschaften in den Ballungsräumen seit Jahren am Limit sind, was man auch an der Fluktuation sieht. Eine Lösung ist überfällig!
Ohne Lobby? Die Justiz braucht dringend mehr Personal, so weit, so klar. Nur, es gab zahlreiche parteifreie Justizminister in der Vergangenheit. Und es ist auch diesmal, im Hinblick auf die diversen offenen Verfahren gegen Politiker der künftigen Regierungsparteien, anzunehmen, dass niemand aus dem engeren Zirkel von FPÖ oder ÖVP zum Zug kommt. Was demokratiepolitisch ein gutes Bild macht, aber diesem Minister fehlt auch der direkte Zugang zur Macht, und damit zu Geld und Personal. Ohne Lobby wird es schwierig, zusätzliche Mittel zu bekommen. Wobei, wenn man sich die Lage des Budgets ansieht, und wie preiswert dagegen im Vergleich ein paar Planposten in der Justiz sind, sollte das kein großes Thema sein. Sollte!
Die nächste Baustelle wartet auf den künftigen Minister bei der Justizwache, die auch chronisch unterbesetzt ist. Die Täter in den Justizanstalten werden gefährlicher und radikaler, die ethnische Mischung birgt zusätzliches Konfliktpersonal. Da gibt es einiges zu tun in den nächsten fünf Jahren!
Einsparungen? Und hier sind wir gleich beim nächsten großen Thema, die fehlenden Milliarden im Budget. Die Justiz ist bei weitem nicht die einzige Baustelle mit Forderungen, da ist noch das Bundesheer, die Pflege, das Gesundheitssystem, die Lehrer brauchen dringend Unterstützung, etc. Und andererseits müssen Milliarden eingespart werden. Aus den ersten Koalitionsverhandlungen mit NEOS und SPÖ gab es das Gerücht, dass unter anderem bei den Beamten und den Pensionen eingespart werden sollte. Natürlich, das sind große Brocken im Budget und „Sparen bei den Beamten“ kommt als Stehsatz immer gut an. Nur, diese „Beamten“ sind selten die Typen mit Ärmelschoner hinter dem Schreibtisch, das sind zum Beispiel Lehrer in einer NMS, das sind Polizisten und Justizwachebeamte, das sind Staatsanwälte und Richter. Sie kosten Geld, da sie meist eine gute Ausbildung und einen sehr anspruchsvollen Beruf haben. Schauen wir uns an, ob die neue Regierung es schafft, die Einsparungen sozial gerecht umzusetzen!
PV-Wahl. Zurück zur Budgetsanierung. Ich vertraue auch unserer Personalvertretung, dass sie ihr politisches Gewicht in die Waagschale wirft, um etwaige Grauslichkeiten zu verhindern. Wenige Wochen nach der Nationalratswahl fand die Wahl der Personalvertretung statt. Interessant dabei: Die Zahl der wahlberechtigten Exekutivbediensteten stieg bundesweit seit der letzten Wahl 2019 um rund 2.800 auf 35.071 Personen. In Wien ist im gleichen Zeitraum die Zahl um 29 Personen auf 7.909 Polizisten gesunken. Die Personalinitiative greift also, nur nicht in Wien.
Zurück zur Wahl, die da und dort leichte Verschiebungen, aber wenig große Überraschungen gebracht hat. Interessant ist, dass es im Wiener Kriminaldienst nur eine einzige Dienststelle gibt, wo die blaue AUF mit Mandaten vertreten ist. Witzigerweise ist das bei der ehemaligen Staatspolizei, dem LSE. Einige Dienststellen, z. B. der zentrale Ermittlungsdienst in der Berggasse, haben nicht einmal einen blauen Personalvertreter. Vielleicht aus Sorge um die Karriere? Und hier sind wir wieder bei der Personaldecke im Innenressort. Wie viele bekennende Blaue kennt ihr unter den Führungskräften? Nun, wenn diese Regierung mit blauer Beteiligung erstmals über die vollen fünf Jahre halten sollte, kann sich das noch ändern.
Demonstrierende. Gleich am Tag, als der Bundespräsident Herbert Kickl den Auftrag zu Regierungsverhandlungen gab, standen die ersten Demonstranten parat. Sie befürchten Rückschritte bei der Rechtsstaatlichkeit, der Pressefreiheit und Menschenrechten, eine mögliche „Orbanisierung“ in Österreich. Nun, erstens ist unsere Verfassung robust ausgelegt. Kein Wunder, im Jahr 1920 musste man mit allen Eventualitäten rechnen! Und zweitens, wenn ich mich recht erinnere, war Ungarn bis 1989 noch viel unfreier als jetzt, die Gefahr kommt nicht immer von rechts. Probieren wir statt vorauseilender Aufregung vielleicht die nüchterne und kritische Bewertung der politischen Arbeit. Messen wir die neue Regierung an ihren Taten. Und notfalls gibt’s früher oder später wieder Wahlen. So funktioniert Demokratie.
Meinungen und Leserbriefe, auch vertraulich, bitte an: krimi@aon.at
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