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Neue Substanzen, bekannte Täter

  • Rosemarie Pexa
  • vor 31 Minuten
  • 5 Min. Lesezeit

Brigadier Daniel Lichtenegger, Leiter des Büros 3.3 (Suchtmittelkriminalität) im Bundeskriminalamt, zieht über die Drogensituation in Österreich Bilanz.


Daniel Lichtenegger: „Cannabis ist nicht harmlos, es wird nur ständig bagatellisiert.“
Daniel Lichtenegger: „Cannabis ist nicht harmlos, es wird nur ständig bagatellisiert.“

Kriminalpolizei: Laut dem Drogenbericht 2024 der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) bleibt der Konsum illegaler Drogen in Österreich weitgehend stabil. Cannabis ist nach wie vor die häufigste verbotene Substanz, bei Kokain sind leichte Zuwächse zu verzeichnen. Wie sieht die Situation aus polizeilicher Sicht aus?

Daniel Lichtenegger: Wir beziehen die Daten und Erkenntnisse zum Konsum von den polizeilichen Anzeigenstatistiken, den Gesundheitsbehörden und aus Abwasseranalysen der Med-Uni Innsbruck. Durch Abwasseranalysen erfährt man, wo welche Drogen konsumiert werden. Man kann dadurch schneller reagieren, besonderes Augenmerk auf die jeweiligen Tätergruppen legen und die passenden Drogentests ankaufen. Als Datenbasis für den Handel mit illegalen Suchtmitteln dienen die Anzeigenzahlen, der Sicherheitsmonitor und die Kriminalstatistik. 2023 sind 2,7 to Cannabis sichergestellt und laut Abwasseranalysen 50 bis 500 to konsumiert worden. Bei Kokain sind 154 kg sichergestellt und laut Abwasseranalysen 2 bis 9 to konsumiert worden.


Deutschland hat den Konsum von Cannabis für Erwachsene legalisiert. Ist Cannabis eine „harmlose“ Droge?

Lichtenegger: Cannabis ist nicht harmlos, es wird nur ständig bagatellisiert und kann auch massive gesundheitliche Probleme wie z. B. psychotische Schübe auslösen. Die Freigabe in Deutschland werden wir auch im Verkehrsbereich merken. Wenn ein Fahrer vor drei Tagen Cannabis konsumiert hat, ist das in Österreich bei einer Suchtgiftkontrolle ein Treffer.

Ein Problem können auch synthetisch hergestellte Cannabinoide sein, die auf Cannabis oder andere Substanzen draufgesprüht werden und die Wirkung verstärken. Es kann dadurch auch zu gefährlichen Kreuzreaktionen kommen.


Wie groß ist die Gesundheitsgefahr bei Kokain?

Lichtenegger: An Kokain stirbt man grundsätzlich nicht gleich, der körperliche Verfall schreitet langsamer voran als bei Heroin. Das Problem sind eher die beigegebenen Streckmittel. Es wird z. B. das Entwurmungsmittel Levamisol ins Kokain gemischt, das die Wirkungsdauer verlängert. Eine Nebenwirkung ist die Zerstörung der Blutgefäße. Aber auch Ketamin, Procain etc. spielen hier eine Rolle.

Der europäische Markt wird seit geraumer Zeit mit Kokain überschwemmt, das billiger und reiner ist. Im Straßenhandel war 80-, 90-prozentiges Kokain erhältlich. Das hat sich wieder abgeflacht, jetzt liegt der Durchschnittswert bei über 60 Prozent. Die Sicherstellungsmengen in Österreich sind gestiegen.


Woher stammt das hier verkaufte Kokain?

Lichtenegger: Aus Südamerika, vor allem aus Kolumbien, Peru und Bolivien. In den Herkunftsländern gibt es massive Korruption, die Kartelle sind mächtig. Aber auch in Europa sieht man die Auswirkungen der organisierten kriminellen Gruppierungen. Als Beispiel kann die im Jahr 2022 versuchte Entführung des belgischen Jus­tizministers gesehen werden, der sich im Kampf gegen den internationalen Drogenhandel sehr engagiert hat. Auch spielen Transportrouten eine Rolle, die in der Vergangenheit nicht im Fokus waren. Zu nennen sind hier kleinere Häfen in Europa, aber auch in Afrika. Darüber hinaus spielt die Korruption in Häfen eine große Rolle, wo man mit beträchtlichen Summen oder Drohungen Hafenmitarbeiter zur Kooperation „überredet“.


In den USA ist der Fentanyl-Konsum ein großes Problem. Welche Rolle spielen Opioide in Österreich?

Lichtenegger: Opioide führen, vor allem bei Mischkonsum, immer wieder zu Todesfällen. Fentanyl spielt bei uns derzeit kaum eine Rolle. Wir sind aber sehr achtsam, wenn es um die synthetischen Opioide geht, da sich auch Fentanyl-Derivate sowie Nitazene am Markt befinden und diese sehr gefährlich sind.


Trotzdem ist in Österreich für die Polizei ein Spezialnasenspray zum Schutz vor Fentanyl angeschafft worden.

Lichtenegger: Vereinzelt haben wir schon Fentanyl aufgegriffen. Es sind einige spezialisierte Polizeieinheiten mit den Naloxonspray als Gegenmittel bei möglichen Opioid-Vergiftungen ausgerüstet worden.


Welche Substanzen beschäftigen die Polizei noch?

Lichtenegger: Es gibt heute viele Substanzen auf dem Markt und es kommen immer neue dazu, für die wir noch keine Nachweismethode haben. Problematisch sind vor allem synthetische Suchtgifte und neue psychoaktive Substanzen, deren Wirkung man schwer einschätzen kann.

Legal Highs lassen sich nur schwer in den Griff bekommen, z. B. die Hawaiianische Holzrose, die psychedelisch wirkt. Sie fällt weder unter das SMG (Anm.: Suchtmittelgesetz) noch unter das NPSG (Anm.: Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz).

Der Dualuse von Chemikalien wie Lachgas oder Deospray führt in Europa immer wieder zu Problemen, im Ausland ist es auch schon zu Todesopfern gekommen. Es ist gut, wenn andere Länder mit dem Verbot, Lachgas an Jugendliche zu verkaufen, vorangehen – aber man kann nicht all diese Chemikalien verbieten.

Ebenso können Benzodiazepine eine starke Abhängigkeit erzeugen. Der Missbrauch kann dadurch erleichtert werden, dass sie auf Privatrezept erhältlich sind und eine Dokumentation hier de facto nicht vorhanden ist.


Was braucht die Polizei, um besser gegen Drogenkonsum und -handel vorgehen zu können?

Lichtenegger: Wir haben weniger Möglichkeiten, auf Daten zuzugreifen, als in anderen Ländern, speziell was die Überwachungsmöglichkeiten der Messengerdienste betrifft. Das Strafprozessänderungsgesetz hat mit der Ausweitung der Beschuldigtenrechte und der Bestimmung zur Sicherung von Daten zusätzlich Erschwernisse gebracht. Der Beschuldigte kann vorschlagen, dass Filter gesetzt werden, die die Datensicherung einschränken. Jeder Schritt muss berichtet werden, was mehr Aufwand mit sich bringt.

Gibt es noch weitere Punkte, die man ändern sollte?

Lichtenegger: In Österreich werden jährlich rund 35.000 Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz erstattet. Im Gesetz sind Ausnahmen von der Anzeigenpflicht vorgesehen, die z. B. Schüler und Insassen von Justizanstalten betreffen. Normalerweise muss jedes in einer Justizanstalt begangene strafbare Delikt angezeigt werden, aber wenn ein Insasse Suchtgift konsumiert hat, darf dieser nicht strafrechtlich angezeigt werden.

Die Polizei allein kann das Drogenproblem nicht lösen, es braucht dazu das gesamte Umfeld, die Justiz, das Gesundheitssystem. Wenn wir eine Anzeige an die zuständige Gesundheitsbehörde schicken, wird nur in einem Bruchteil der Fälle eine Begutachtung durchgeführt. Bei den gesundheitlichen Maßnahmen fehlt es an wissenschaftlicher Langzeitbegleitung, ob die Maßnahmen überhaupt wirkungsvoll sind.

Laut dem Drogenbericht 2024 gibt es unter Jugendlichen, vor allen unter Mädchen, eine Gruppe mit riskanten Konsummustern. Welche Maßnahmen wären da sinnvoll?

Lichtenegger: Wir stehen zur Strategie Therapie statt Strafe, aber manchen Menschen muss man zu ihrem Glück auch verhelfen können, vor allem im Kinder- und Jugendbereich. 14-jährige Drogensüchtige, die eine Therapie machen, können diese von sich aus beenden. Da sollte man nachschärfen und auch den Erziehungsberechtigten mehr Möglichkeiten geben.


Ein Trend, der sich durch die Pandemie verstärkt hat, ist der Kauf von Drogen im Internet. Um welchen Anteil geht es da ungefähr?

Lichtenegger: Zirka zehn Prozent der in Österreich konsumierten Drogen kommen per Post, pro Jahr werden 1.500 bis 3.000 Sendungen sichergestellt. Wir haben eine enge Koopera­tion mit dem Zoll, der Kontrollen durchführen darf. Ein Verdacht ergibt sich oft aufgrund der Erscheinungsform der Sendung.

Viele Konsumenten wollen nicht direkt mit Dealern in Kontakt treten, bestellen daher lieber online und bezahlen in Kryptowährung. Zum Teil wird das Suchtgift nicht zugestellt, sondern hinterlegt, z. B. in einem toten Briefkasten oder bei Mülltonnen, und der Empfänger bekommt die GPS-Daten zugeschickt. Es gibt auch die Möglichkeit einer anonymen Zustellung auf ein Postfach eines privaten Anbieters.


Die Akteure im Drogenhandel sind international tätige kriminelle Gruppen, also muss auch die Polizei grenzüberschreitend arbeiten. Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit in Europa bzw. global?

Lichtenegger: Die Zusammenarbeit in Europa hat sich über die Jahrzehnte verbessert, jetzt haben wir eine gute Kooperation. Die verschiedenen Strafprozessordnungen sollten angeglichen werden, um die Bürokratie zu verringern. Europol wird wichtiger werden, weil es besser ist, wenn teure Anschaffungen wie Analysesoftware zentral erfolgen.

Ein aktuelles Beispiel ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Übersetzungen. Die Aufklärungsquoten sind auch durch den Einsatz von Technik gestiegen.

International sind neben den europäischen Partnern die USA unser wichtigster Kontakt. Wir arbeiten vor allem mit der DEA (Anm.: Drug Enforcement Administration) zusammen, die hier ihre weltweiten Verbindungen zur Unterstützung einsetzen kann.


Im Rahmen der Operation „Trojan Shield“ haben die US-Behörden auch Österreich mit Informationen versorgt, die bei der „Operation Achilles“ aufgearbeitet werden. Wie weit ist man dabei schon?

Lichtenegger: Die Operation Achilles ist der größte kriminalpolizeiliche Ermittlungskomplex, den es in Österreich jemals gegeben hat. Hier wurden die Ermittlungen nach dem Einstieg mit der US-Operation „Trojan Shield“ auf weitere in Europa aktive Kryptomessengerdienste ausgeweitet. Wir müssen uns auf einen Ermittlungsstrang konzentrieren und den abarbeiten, bevor wir den nächsten beginnen, da die Datenmengen so eine schiere Größe haben, welche nur schwer abzuarbeiten sind.

Derzeit liegt der Fokus auf dem Westbalkan; andere Gruppierungen haben wir uns noch gar nicht näher angeschaut. Es sind zwar Altdaten, aber wir erfahren, was welche Tätergruppierungen verkaufen und wie sie agieren – und die hören nicht auf damit. Weitere Kryptomessengerdienste wurden bereits ausgehoben, welche dann auch noch abgearbeitet werden müssen.

















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