top of page

Medellin oder Rossatz an der Donau?

Herbert Windwarder

Wir sind heute etwas ganz Großem auf der Spur. Der ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz hat monatelang zum Tod von Sektionschef Pilnacek recherchiert und seine Schlussfolgerungen in einem Buch verarbeitet. Weil es für die Einordnung wichtig ist, lesen Sie im folgenden auch Original­zitate dazu aus dem Buch „Pilnacek, der Tod des Sektionschefs“.


Der frühere Sektionschef im BMJ Christian Pilnacek starb am 20. Oktober 2023 (Foto: F. Germadnik).
Der frühere Sektionschef im BMJ Christian Pilnacek starb am 20. Oktober 2023 (Foto: F. Germadnik).

Die kursiv gesetzten Zitate aus dem Buch „Pilnacek, der Tod des Sektionschefs“ erscheinen mir ganz wesentlich, damit der Autor Peter Pilz nicht behaupten kann, man hätte ihn falsch interpretiert. Ich hätte gerne, um das ganze Ausmaß der Hypothesen zu dokumentieren, längere Zitate verwendet, dies ist aber aus urheberrechtlichen Gründen problematisch.

Pilz beschreibt in seinem Buch ein System in der Justiz, das – hätte es dieses tatsächlich gegeben – ein Skandal wäre. Wie ein römischer Kaiser im Circus Maximus entschied der Daumen von Sektionschef Pilnacek für die ihm untergeordneten Staatsanwälte: „Zeigte er nach unten, wurde „daschlogn“. Nicht Fakten und Beweise bestimmten somit den Verlauf von Ermittlungen.

Nun, wie sieht Pilz die Fachaufsicht der Oberstaatsanwaltschaft Wien? Er beschreibt die OStA Wien als jene Stelle, wo: „etwas ‘Großes’ abgedreht werden sollte“.

Wenig überraschend, dass Pilz die Auswahl von Führungskräften in der Justiz als nicht objektiv beschreibt. Die „Treuesten“ wurden von Pilnacek mit der Leitung von Staatsanwaltschaften und Oberstaatsanwaltschaften betraut „wie Lehen, als Leih-Herrschaften.“ Umfangreiche Bewerbungen verfassen, Kompetenz und die Reihung von Personalsenaten sind offenbar reine Show im „System Pilnacek“. Nun, Jus­tiz-Insider können bei dieser Darstellung nur in ein chronisches Kopfschütteln verfallen. Sorry Herr Pilz, aber so funktioniert’s nicht!


Tötungsdelikt? Was schreibt Pilz zum Tod des Sektionschefs? Pilz beschreibt, dass Pilnacek den Kontakt zur FPÖ gesucht hätte, um, wie er schreibt, „auszupacken“. Dazu kam es aber durch sein Ableben nicht mehr. Pilz schreibt, dass Pilnaceks Wissen für die Kanzlerpartei gefährlich war und spekulierte, dass eventuell Pilnacek der ÖVP „gedroht“ haben könnte. Glaubt Pilz an Selbstmord? Er sieht mehrere Umstände, die auf ein „Tötungsdelikt“ hinweisen. Doch hier enden die Gedankengänge des Peter Pilz nicht, jetzt wird es erst richtig spannend. Pilz beschreibt eine „türkise Polizeikette“ von Führungskräften, beginnend beim Leiter des LKA, über den Direktor des Bundeskriminalamtes, bis hin zum Minister. Man wusste laut Pilz „was zu tun war“ und stellte „die Zeichen auf Selbstmord“.


„Spuren verwischt?“ Pilz beschreibt dann, wieso er glaubt, dass sowohl Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft als auch der Gerichtsmediziner der Frage, woran Christian Pilnacek gestorben ist, „nicht konsequent nachgegangen“ sind, dass eventuell Spuren „übersehen“ oder „verwischt“ wurden. Im Gegenteil, die fallführende StA Krems habe die „Sprachregelung der ÖVP“ übernommen, als sie einen klaren Suizid kommunizierte.


Daten-Putztrupp. Spuren wurden vielleicht verwischt und die StA übernahm laut Pilz die Sprachregelung der ÖVP. Alles in trockenen Tüchern? Noch nicht ganz, Pilnacek hatte ja auch ein Handy, Pilz widmete diesem viele Seiten und Spekulationen. Er beschreibt „Die Jagd nach dem Handy“ durch Kriminalisten des LKA Niederösterreich, diese sind für Pilz der „Daten-Putztrupp der ÖVP“. Pilz ist überzeugt, dass diese Aktion „weiter oben gestartet“ wurde und er sieht da drei prominente Akteure, die in Frage kommen: der Bundespolizeidirektor, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und schlussendlich der Innenminister.


La famiglia. Fassen wir einmal kurz zusammen: Wurde also der mächtigste Sektionschef des Justizministeriums im Auftrag der ÖVP umgebracht, weil er über die Türkisen „auspacken“ wollte? Und wurde dann diese Tat von einer eingespielten Truppe aus Polizeiinspektion, Tatortbeamten und Mordermittlern des LKA NÖ, dem Gerichtsmediziner, Datenforensikern des Bundeskriminalamtes und der Staatsanwaltschaft Krems vertuscht? Gedeckt von ihren Vorgesetzten und beauftragt von den Spitzen der ÖVP?

Nun, wie hätte dieser morgendliche Anruf auf der PI Weißenkirchen ablaufen können: „Grüß‘ Sie, Schöberl vom Büro des Innenministers. Bei Ihnen treibt eine Leiche in der Donau und wir hätten gerne, dass es wie ein Selbstmord aussieht! Verstehen wir uns?“

Postenkommandantin Weißenkirchen: „Kein Problem, hier arbeiten ausnahmslos rückgratlose ÖVP-Soldaten ohne Berufsethos, wir machen selbstverständlich was die Partei will! So ein kleiner Mord kommt ja in den besten Familien vor! Wiederschaun!“

So ein ähnliches Telefonat wurde dann noch mit dem Leiter des LKA Niederösterreich, mit der Staatsanwaltschaft Krems und mit der Gerichtsmedizin in Wien geführt. Und wenn Sie an dieser Version zweifeln, gehören Sie vermutlich auch zur türkisen Mafia.


Korruptes Sys­tem? Man könnte die sagenhaften Geschichten aus 1001 Nacht in diesem Buch lustig finden und ignorieren. Aber, zwei Umstände verbieten das: Erstens ist Peter Pilz nicht irgendein Staatsverweigerer, sondern ein ehemaliger Nationalratsabgeordneter. Wenn er etwas „recherchiert“, wird es auch ernst genommen, was entsprechende Medienberichte, und sogar eine parlamentarische Anfrage bewiesen haben. Der Autor Peter Pilz hat die Kraft, das Vertrauen in Jus­tiz und Polizei in großen Teilen der Bevölkerung zu untergraben. Und zweitens: Dass Peter Pilz höchste Würdenträger wie den Innenminister angreift, das gehört zum Berufsrisiko als Minis­ter. Peter Pilz stellt aber in den Raum, dass es hier ein System gibt, das vom Minister bis hinunter zum kleinsten Polizisten auf der Inspektion, und bis zum ermittelnden Staatsanwalt tief korrupt ist, und einen möglichen Mord deckt und vertuscht. Und das kann nicht hingenommen werden.


WKStA ermittelt. Peter Pilz hat mit seinen publizierten Verdächtigungen nicht nur die Organisationen Polizei und Justiz in den Schmutz gezogen. Die Freundin von Christian Pilnacek, Karin W., hat gegenüber der „Presse“ gesagt, dass sie von Pilz überredet worden sei, eine Anzeige gegen Krimi­nalis­ten des Landeskriminalamtes NÖ über dessen Anwalt Volkert Sackmann, zu erstatten. Ein alter Trick unter Journalisten, um Einsicht in den Original­akt zu bekommen. Was Pilz auch gelungen sein dürfte, wie sonst konnte er in seinem Buch diverse Ermittlungsdetails zitieren. Die WKStA nahm diese Anzeige mehr als ernst, die Erhebungen dauern nun über ein Jahr. Ein Jahr, in dem Kriminalisten als Beschuldigte geführt werden, die einfach ihre Arbeit gemacht haben. Und die von einer Atmosphäre bei der Vernehmung bei der WKStA erzählen, die sonst eher Schwerkriminelle zu erwarten haben. Polizisten, vom Bundespolizeidirektor bis zum „kleinen“ Kriminalbeamten mussten sich wegen der Anwürfe einen Medienanwalt nehmen.


Mord oder Suizid? Aber schauen wir uns kurz die wichtigsten Punkte, die für Peter Pilz verdächtig erscheinen, an: Die Ermittlungen gegen Chris­tian Pilnacek liefen bereits seit zwei Jahren. Er hatte damals seine Aussagen gemacht, sein Handy wurde sichergestellt und ausgewertet. Christian Pilnacek war in der gegenständlichen Nacht betrunken als Geisterfahrer von der Polizei angehalten worden. Wie auch Pilz in seinem Buch schreibt, wollte Pilnacek bis zu diesem Vorfall entweder rehabilitiert in die Justiz zurückkehren, oder in die Privatwirtschaft wechseln. Er wusste genau, dass ihm jetzt mehrere Verfahren, und vor allem wieder eine große Aufmerksamkeit in den Medien bevorstand. Seine berufliche Zukunft hatte sich mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Er trank im Haus seiner Freundin Karin W. in Rossatz an der Donau ein paar Gläser und ging dann (ohne Handy) aus dem Haus, in Richtung Donau.


Die Auffindung. In den Morgenstunden wurde seine Leiche in einem Seitenarm der Donau gefunden. Die zuständige Inspektion übernahm die Ermittlungen. Die Gemeindeärztin stellte richtig fest, dass eine Obduktion notwendig sei. Die Postenkommandantin teilte der Ärztin mit, dass nicht sie, sondern nur die Staatsanwaltschaft eine Obduktion anordnen könne, und genau das passierte auch. Nach der Spurenlage war für die Beamten ziemlich klar, dass es sich um einen Suizid handelte. Eigentlich wäre die Sache damit erledigt gewesen, aber da es sich um eine prominente Person handelte und man nichts übersehen wollte, wurden auch die Spezialisten der Leib/Leben-Gruppe des LKA NÖ zum Auffindungsort geschickt. Dessen Leiter, der in seiner über 30-jährigen Laufbahn hunderte bedenkliche Todesfälle bearbeitet hatte und zahlreiche Morde aufklären konnte, bestätigte die Richtigkeit einer Obduktion. Die Tatortgruppe schaute sich die Auffindungssituation genau an und machte eine Lichtbilddokumentation. Auch für das LKA war die Variante Suizid ziemlich eindeutig. Die Obduktion in der Gerichtsmedizin fand keine Anzeichen eines Fremdverschuldens, der Akt wurde geschlossen. Business as usual – dachte man damals noch.


Effektenübergabe. Was ist an der „Daten-Putztrupp“ Geschichte beim Handy dran? Das Telefon von Chris­tian Pilnacek war, da kein Fremdverschulden vorlag, nie Gegenstand der Ermittlungen. Auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmung hätte man den Inhalt auswerten sollen? Und wozu? Pilneceks Freundin Karin W. sagte, dass sie die Kriminalbeamten gefragt hätte, was sie mit seinem Handy, Geldbörse und den Schlüsseln machen solle. Die Kriminalisten hätten angeboten, die Sachen der Witwe von Pilnacek zu übergeben, was sie auch gemacht haben. Ganz ehrlich, wenn ich auf höchs­te Weisung Spuren vernichten soll, übergebe ich das Handy dann dem Anwalt der Witwe, die zudem Richterin ist? Inklusive Übernahmebestätigung?


Wem vertrauen? Warum wurde ein Strafrechtsdelikt protokolliert, obwohl man eigentlich von einem Suizid ausging? Eine Notwendigkeit des § 128 Strafprozessordnung, da die Staatsanwaltschaft sonst keine Obduktion anordnen kann.

Hat der Gerichtsmediziner schlampig gearbeitet oder wurde ihm von Innenminister Karner ein abgeschnittener Pferdekopf geschickt? Peter Pilz zitiert zwei Ärzte, die aber im Gegensatz zum untersuchenden Spezialisten die Leiche nie gesehen haben. Die Wiener Gerichtsmedizin hat einen ausgezeichneten Ruf. Warum sollte genau in diesem Fall (absichtlich?) schlecht gearbeitet worden sein? Die Smartwatch, die Pilnacek in der Nacht getragen hat, wurde vom LKA an die Datenforensiker des BK übermittelt, man erhoffte sich zusätzliche Informationen, zB zum genauen Todeszeitpunkt. Die IT-Spezialisten besorgten sich die nötige Software und lasen die vorhandenen Daten aus. Zu wenige Daten für Peter Pilz. Gehören diese Beamten auch zu den Korrumpels?


Vertrauensverlust. Nun, die Nadel der Fakten hat dem geistigen Luftballon von „Aufdecker“ Peter Pilz die Luft ausgelassen. Leider haben die meisten Leser des Buches nicht den nötigen Einblick in die Arbeit von Polizei und Justiz, um die Verdächtigungen richtig einordnen zu können, und daher wird bei vielen Menschen ein massiver Vertrauensverlust hängen bleiben. Nach Corona, Ibiza, Eurofightern, BUWOG und anderen echten Skandalen ist es nicht schwierig, weiter Misstrauen zu schüren.


Meinungen und Leserbriefe, auch vertraulich, bitte an: diekriminalisten@aon.at

Comments


©2023 Die Kriminalisten.

bottom of page