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Rosemarie Pexa

Hohe Beschäftigungsrate

Arbeit, Sport und psychosoziale Betreuung bereiten auf das Leben nach der Haft vor.

Berufliche Kenntnisse, Ausdauer beim Lernen, die Einhaltung eines geregelten Tagesablaufs – all das fehlt den meisten Straftätern, wenn sie in die Justizanstalt Hirtenberg kommen. Diese Fähigkeiten, die für das Leben nach der Haftentlassung unerlässlich sind, sollen in den anstaltseigenen Betrieben vermittelt werden. Die Voraussetzung dafür bilden ausreichende Arbeitsmöglichkeiten.



Diesbezüglich ist die Justizanstalt Hirtenberg gut aufgestellt, auch nach der Vergrößerung der Anstalt. „Wir haben eine Beschäftigungsrate von 90 Prozent gehabt. Seit der Erweiterung um 160 Haftplätze sind es rund 70 Prozent, also nach wie vor ein zufriedenstellender Wert“, so Oberstleutnant Heidemarie Heinz, die Stellvertreterin des Anstaltsleiters. Aktuell verfügt die Justizanstalt Hirtenberg mit der Außenstelle Münchendorf, einem landwirtschaftlichen Betrieb, über 497 Haftplätze und ist damit – nach Wien-Josefstadt, Stein und Graz-Jakomini – die viertgrößte Justizanstalt Österreichs. Überbelag stellt auch hier eine besondere Herausforderung dar und liegt derzeit bei rund 105 Prozent.

 

Hoher Ausländeranteil. Bei den Insassen handelt es sich um erwachsene Männer, die Haftstrafen von 18 Monaten bis lebenslänglich zu verbüßen haben. Nur etwa ein Drittel von ihnen sind österreichische Staatsbürger – das ist der geringste Anteil von allen Vollzugsanstalten. Um Konflikte zwischen Personen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit zu vermeiden, sei man bei der Belegung der Hafträume sehr sensibel, erklärt Heinz: „Wir haben schon Erfahrungswerte, wen man mit wem zusammenlegen kann, und achten auch auf das Glaubensbekenntnis.“ Bei den Kostformen werden religiöse Ge- und Verbote ebenfalls berücksichtigt.

Während etliche der Inhaftierten mit Migrationshintergrund in Österreich geboren sind und gut deutsch sprechen, ist die Verständigung mit anderen nur mit einer Übersetzungshilfe möglich. Diese Aufgabe kann bei banalen Dingen mit Zustimmung des Betroffenen ein anderer Insasse, der die jeweilige Sprache beherrscht, übernehmen. Er erhält dafür eine Arbeitsvergütung. Bei heikleren Themen, etwa in gesundheitlichen Fragen, zieht man einen Videodolmetscher bei. Slowakisch und Ungarisch werden von einer Justizwachebeamtin bzw. einer Sozialarbeiterin abgedeckt.

Geht es um die Vermittlung handwerklicher Fertigkeiten, sind nicht nur mangelnde Sprachkenntnisse ein Problem. Während die meisten Insassen früher zumindest eine Lehre absolviert haben, finden sich unter den Inhaftierten heute kaum noch Personen mit Lehrabschluss. Außerdem fehlt vielen laut Heinz das Durchhaltevermögen für eine längere Ausbildung in der Haft.

 

Unternehmerbetriebe. Je nach Interesse, Fähigkeiten und Vorkenntnissen stehen den Insassen unterschiedliche Beschäftigungsmöglichkeiten zur Auswahl. In den Unternehmerbetrieben werden einfache Stücklohnarbeiten wie Verpackungs- und Sortiertätigkeiten, Zusammenfügen von Einzelkomponenten oder Abschleifen von Installationsmaterialien verrichtet. Auch die Buchbinderei und die Schneiderei, in der z. B. Bettwäsche geflickt wird, sind in die Unternehmerbetriebe eingegliedert. Diese bieten rund 100 Häftlingen Arbeit.

„Wenn ein Unternehmen der freien Wirtschaft an uns herantritt, überprüfen wir, ob die Tätigkeit nach dem Strafvollzugsgesetz vertretbar ist“, so Heinz. Ist das der Fall, kann nach einem Probeauftrag und der Vereinbarung der Bezahlung mit der Arbeit begonnen werden. Mittlerweile verfügt die Justizanstalt Hirtenberg über mehrere fixe Geschäftspartner.

Die anstaltseigenen Betriebe, in denen anspruchsvollere Tätigkeiten zu verrichten sind, werden – abgesehen von einer externen Fachkraft in der Fleischerei – von Justizwachebeamten geleitet, die über die nötigen Qualifikationen verfügen. Insgesamt verfügt die Justizanstalt Hirtenberg gemeinsam mit der Außenstelle Münchendorf über 18 Betriebe, in denen die Insassen jährlich rund 600.000 Euro erwirtschaften.

 

Tischlerei. Interessiert sich ein Häftling für die Arbeit als Tischler, durchläuft er zuerst eine Kurzausbildung durch Abteilungsinspektor Martin Brettschneider, Tischlermeister und Departmentleiter. Der Insasse lernt, welche Holzarten es gibt, wie sie verarbeitet werden und wofür man welchen Lack verwendet. Er fertigt kleinere Werkstücke an, kann sich auch in Brandmalerei versuchen und dabei seine Kreativität ausleben – für manche ein Ersatz für das in der Haft verbotene Tätowieren.

Stellt sich jemand geschickt an, wird er in die Werkstatt übernommen und bekommt die Möglichkeit, eine Tischlerlehre zu absolvieren. Anhand der Unterlagen, die von der Landesberufsschule Pöchlarn stammen, bereitet sich der Lehrling auf seine Prüfungen vor – die theoretische Prüfung findet in der Wirtschaftskammer Sankt Pölten statt, die praktische in der Landesberufsschule Pöchlarn. „Wir sind bei der Lehrabschlussprüfung mit unseren Lehrlingen immer im besten Drittel. Manche Lehrlinge haben davor noch nie eine berufliche Prüfung abgelegt und freuen sich besonders, wenn sie es geschafft haben“, erzählt Brettschneider. Einige, die bei ihm in Haft gelernt hatten, fanden nach der Entlassung einen Job in einer Tischlerei.

Die Palette der in der Anstaltstischlerei hergestellten Produkte reicht von kleineren Möbelstücken über mit Brandmalerei verzierte Boxen, die auf Wunsch mit einem Schriftzug personalisiert werden, bis zu Seifenhaltern. Letztere sollen in das Sortiment des „Jailshops“ des Bundesministeriums für Justiz aufgenommen werden. Beim von der Justizanstalt Hirtenberg im Vorjahr veranstalteten Weihnachtsmarkt konnten die Besucher hölzerne Christbaumanhänger und andere Produkte der Betriebe erwerben.

 

Schlosserei. Beim Tag der offenen Tür 2023 fanden auch die Dekorationsartikel aus der Anstaltsschlosserei wie Rosen aus Metall und Figuren für den Garten zahlreiche Abnehmer. Besonders stolz ist Revierinspektor Jan Helmuth Hubner, Betriebsbeamter der Schlosserei und gelernter Werkzeugmacher, auf die Felgengriller: „Wir stellen Griller aus Autofelgen her. Jeder von ihnen ist ein Unikat.“

Ein besonderes Erzeugnis sind die Haftraumgitter aus einem speziellen Stahl, die ausschließlich in Hirtenberg gefertigt werden und den Bedarf sämtlicher österreichischer Justizanstalten decken. Tore und Türen für Justizanstalten werden zwar nicht selbst produziert, aber bei Bedarf repariert.

 

Weitere Betriebe. Die Justizanstalt Hirtenberg beherbergt auch eine Kfz-Mechanikerwerkstatt samt Kfz-Lackiererei. Insassen, die hier arbeiten wollen, erhalten eine Kurzausbildung durch den Meister. Wer Reifen- und Ölwechsel beherrscht, hat gute Chancen auf eine Beschäftigung in der Werkstatt. Zu den Tätigkeiten zählt auch die Autowäsche für die anstaltseigenen Fahrzeuge und als Leistung für Externe, z. B. für Autohäuser, die Gebrauchtwagen anbieten, und fallweise für die Polizei.

Für die Eigenversorgung der Justizanstalt dienen weitere Betriebe. Dazu zählen Anstalts- und Beamtenküche, Wäscherei, Elektrikerbetrieb, Installateurbetrieb sowie der Entsorgungsbetrieb, wo die Abfälle nach verwertbaren Fraktionen sortiert werden. Die Hauswerkstätte übernimmt verschiedene kleinere Arbeiten zur Instandhaltung der Gebäude.

Bezirksinspektor Walter Straker leitet die Gärtnerei, welche die beiden Küchen und die Bediensteten mit Gemüse und Salat versorgt. Obst ist nicht ausreichend vorhanden und muss daher zugekauft werden. „Einer der Insassen, ein gelernter Gärtner, legt gerade einen Kräuterhügel an. Zu Weihnachten hat er 30 Adventkränze gebunden“, erzählt Straker.

 

Gregorhof. Bezüglich der Selbstversorgung hat die Justizanstalt Hirtenberg Glück: Die Außenstelle Münchendorf verfügt mit dem „Gregorhof“ über einen landwirtschaftlichen Betrieb mit einer Fläche von 160 ha, 145 ha davon sind Ackerland. Die aktuell rund 70 Mastrinder und 48 Mastschweine reichen aus, um nicht nur den eigenen Bedarf zu decken, sondern darüber hinaus den von sieben weiteren Justizanstalten. Das Fleisch wird in der hofeigenen Fleischerei zu über 30 verschiedenen Produkten verarbeitet. Da die Nachfrage nach veganer Kost steigt, stellt der Betrieb mittlerweile auch Wurst aus Erbsenprotein her. Weitere Erzeugnisse des Gregorhofs sind Honig von zehn Bienenvölkern und Milch.

„Am Gregorhof haben wir Platz für 41 Häftlinge, derzeit sind 35 hier“, erklärt Abteilungsinspektor Johann Schrammel, der den landwirtschaftlichen Betrieb Münchendorf leitet. Seine Eltern waren im landwirtschaftlichen Vollerwerb tätig, er selbst war jahrelang Nebenerwerbslandwirt. Daher fällt es ihm auch leicht einzuschätzen, wer sich für welche Tätigkeiten – vom Traktorfahren über das Ausbeinen in der Fleischerei bis zum Stallausmisten – eignet.

Ausschließlich Insassen mit gelockertem Vollzugsstatus haben die Chance auf eine Verlegung in die Außenstelle. „Es ist ein Privileg, hier zu arbeiten“, so Schrammel. In der Regel wissen die Insassen die Vorzüge des Gregorhofs zu schätzen und setzen diese nicht durch mangelnden Arbeitseifer oder Fluchtversuche aufs Spiel. Ein einziges Mal, vor über 20 Jahren, unternahm ein Inhaftierter in alkoholisiertem Zustand einen „Ausflug“ mit einem Traktor, schlief betrunken neben dem Fahrzeug ein und wurde wieder in Gewahrsam genommen. Die Arbeit mit den Bauernhoftieren ist bei den Insassen besonders beliebt und übt auf sie einen beruhigenden Einfluss aus.

 

Freizeitangebot. Nicht nur durch Arbeit, auch durch eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung wie Sport versucht man, positiv auf das Verhalten der Inhaftierten einzuwirken. Wer Krafttraining machen möchte, erhält von einem Fit-Lehrwart eine Einschulung für die Benutzung der Geräte. Im Sommer kann im Freien auf dem Beachvolleyball- und dem Fußballplatz gespielt werden, bei Schlechtwetter steht die Turnhalle für Ballspiele zur Verfügung. Einen Beitrag zur Resozialisierung leis­tet das Basketballprojekt des Vereins Phönix: Insassen, die sich für diesen Mannschaftssport qualifiziert haben, nehmen an einem zehn Einheiten umfassenden Basketballtraining teil. Nach Haftende wird die Integration in einen Sportverein gefördert.

Wer sich für Musik interessiert, hat die Möglichkeit, sich der Musikgruppe anzuschließen, die derzeit aufgrund der Erkrankung des Leiters ausgesetzt ist. Zusätzlich ist die Gründung einer Theatergruppe geplant. Kulturelle Veranstaltungen stehen einmal im Quartal auf dem Programm.

Die freie Zeit können die Insassen auch dafür nutzen, sich weiterzubilden. Für Personen mit nicht-deutscher Muttersprache werden laufend Deutschkurse abgehalten. Es gibt Erste-Hilfe-Kurse, die mindestens ein Häftling pro Anstaltsbetrieb absolviert haben sollte. „elis E-Learning im Strafvollzug“ bietet Lernmodule zu beruflichen Themen, etwa zu Holz- und Metallverarbeitung, und Informationen zur Vorbereitung auf die Haftentlassung – z. B., wie man bei der Wohnungssuche vorgeht.

Entsprechend ausgebildete Justizwachbeamte leiten sogenannte Group Counsellings, bei denen die Insassen über selbst gewählte Themen sprechen können. Sie erwerben in den moderierten Gesprächsrunden grundlegende kommunikative Kompetenzen wie zuhören, Feedback geben sowie sich in die Situation ihres Gegenübers hineinversetzen und erhalten Hilfe bei der Bearbeitung persönlicher Probleme.

 

Sozialer Dienst. Unterstützung leis­ten auch die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes, der von Amtsdirektorin Waltraud Murlasits geleitet wird. „Wir betreuen die Insassen in der Haftsituation, sind unmittelbare Ansprechpersonen für Angehörige und bilden die Verbindung zu therapeutischen Einrichtungen, Rechtsanwälten oder Erwachsenenvertretern. Außerdem helfen wir bei der Organisation des Lebens 'draußen', z. B. durch den Erhalt der Wohnung oder in Zusammenarbeit mit der Schuldnerberatungsstelle bei finanziellen Schwierigkeiten“, so die Sozialarbeiterin.

Die Prioritäten unterscheiden sich je nachdem, wie lange sich jemand schon in Haft befindet. Zu Beginn ist die Bewältigung des Haftalltags das wichtigste Thema. Dann geht es – insbesondere bei langstrafigen Insassen – darum, die vorhandenen Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen zu erhalten bzw. neue zu erwerben. Gegen Haftende organisieren die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes Entlassungskonferenzen, versuchen, das soziale Netz zu intensivieren, und arbeiten dabei mit dem Verein Neustart zusammen. „Unser Ziel ist, die Gefährlichkeit der Häftlinge zu reduzieren. Wir haben auch die Pflicht, die anderen Menschen 'draußen' zu schützen“, betont Murlasits.

 

Psychologischer Dienst. Diese Zielsetzungen verfolgt auch der Psychologische Dienst. Dessen Leiterin Kommissärin Andrea Rainer-Harbach, MSc, betont, dass die Straftat aufgearbeitet werden muss: „Es geht darum, wie es zu dem Delikt gekommen ist und was man tun kann, damit so etwas nicht noch einmal passiert.“ Auch Insassen, die während der Haft „funktionieren“, können in alte Verhaltensmus­ter zurückfallen, wenn sie nach der Entlassung wieder in ihre frühere – kriminelle – Community zurückkehren.

Weist ein Insasse psychische Störungen auf, kann das die Resozialisierung behindern. „Personen aus Kriegsländern mit Traumafolgestörungen haben einen anderen Bezug zu Gewalt. Wenn jemand täglich Gewalttaten sieht, werden sie für ihn eine Form von Normalität“, so Rainer-Harbach. Von einer Traumafolgestörung Betroffene haben oft das Gefühl, in Gefahr zu sein und sich selbst schützen zu müssen. Das kann so weit gehen, dass ein Häftling glaubt, ein anderer wolle ihn töten, und auf Kleinigkeiten überreagiert.

Extremismus. Unter besonderer Beobachtung stehen neben Personen mit schweren psychischen Störungen und Suizidgefährdeten auch Insassen, die wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bzw. wegen terroristischer Straftaten verurteilt worden sind. Dabei handelt es sich laut dem Justizwachekommandanten Chefinspektor Peter Ungerhofer zum weitaus überwiegenden Teil um islamistischen Terrorismus, in einigen Fällen um Verstöße gegen das Verbotsgesetz; „linke“ Terroristen stellen hierzulande aktuell keine Bedrohung dar.

Vor neun Jahren wurde in einem Haftraum der Justizanstalt Hirtenberg zum ersten Mal eine Fahne des sogenannten Islamischen Staats (IS) gefunden, seither wird bei Kontrollen genau auf einschlägige Symbole geachtet. Findet man Schriftstücke oder Gegenstände mit arabischen Schriftzeichen, lässt sie die Justizanstalt durch das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung prüfen. „Es kommt immer wieder vor, dass jemand Werbung für den IS macht. Je nach Einzelfall bekommt der Betroffene eine Therapie oder wird in eine andere Anstalt verlegt“, so Ungerhofer.

 

Sucht. Suchterkrankungen sind, wie in anderen Justizanstalten, auch in Hirtenberg ein häufiges Problem. Immer wieder werden Drogenpakete, zum Teil als Tennisball, Kastanie oder Erdklumpen getarnt, über die Außenmauer geworfen. Zeigt die Aufnahme einer Überwachungskamera eine verdächtige Annäherung, halten Justizwachebeamte Nachschau. Wenn sie ein Päckchen sichergestellt haben, wird dieses der Polizei übergeben. Manchmal rufen auch aufmerksame Anrainer an, die beobachtet haben, wie sich jemand der Mauer nähert.

Die Akzeptanz der Justizanstalt in der Gemeinde ist hoch. Sie soll durch die Möglichkeit, selbst einen Blick hinter die Anstaltsmauern zu werfen, weiter gestärkt werden – was beim Tag der offenen Tür 2023 laut Heinz gelungen ist: „Wir haben 324 Personen durch die Anstalt geführt. Die von den Insassen hergestellten Produkte haben sich gut verkauft – die Besucher waren erstaunt, was hier geleistet wird.“







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