Das Studium, des auf weiten Strecken geschwärzten, 230 Seiten umfassenden Pilnacek-Berichts, war mühsam. Justizministerin Alma Zadic hat diesen – nach Bekanntwerden einer Tonbandaufnahme, die mögliche Interventionen und Korruption nahelegte – in Auftrag gegeben. Ich habe lange überlegt, ob ich darüber schreiben soll.

Christian Pilnacek war nicht mein Freund. Aber ich hatte öfter, vor allem während der Arbeiten zu einer StPO–Reform anfangs der 90er-Jahre, mit ihm zu tun. Wir waren nur selten einer Meinung, zumal er die Vorhaben des Justizministeriums, die nicht nur ich für gefährlich hielt, vehement vertrat.
Die Vereinigung der österreichischen Richter, der Verein der Staatsanwälte und die Vereinigung der Polizeijuristen, sowie Vertreter der Bundesgendarmerie hatten damals gegen den Entwurf des Justizministeriums massive Einwände. In zahlreichen Diskussionen und Veranstaltungen krachten wir häufig aneinander. Dennoch war mein Verhältnis zu Pilnacek stets korrekt und ich glaube auch heute noch nicht, dass Pilnacek im Zusammenhang mit seiner durchaus mächtigen Position im Justizressort, illegale oder korrupte Handlungen, wie etwa die Erteilung gesetzwidriger Weisungen, vorgenommen hat.
Unangenehm, aber korrekt. Dass Pilnacek angesichts seiner wichtigen Funktion stets mit politischen Interventionen zu tun hatte erscheint naheliegend und glaubwürdig. Auch sein Misstrauen gegenüber der WKStA war allgemein bekannt. Ich kannte ihn als fachlich versierten, aber stets auf seiner Meinung, gelegentlich auch unreflektiert, insistierenden, unangenehmen, aber korrekten Beamten. Für mich war Pilnacek ein ehrenwerter Mann.
Nachdem das Erscheinen eines Buches über den verstorbenen ehemaligen Sektionschef Christian Pilnacek und dessen Bemühungen Missstände im Justizministerium und den Staatsanwaltschaften aufzudecken, angekündigt wurde, habe ich mich entschieden darüber zu schreiben.
Diffuse Weisungen. Die von dem als Antikorruptionsexperten bezeichneten Tiroler Martin Kreutner geleitete Kommission kam, wie von den Medien berichtet, zu dem zusammenfassenden Schluss: in Österreich gebe es eine hochproblematische „Zweiklassenjustiz“. Es seien Interventionsversuche verschiedener politischer Parteien und Informationsabflüsse festgestellt worden, es lägen auch Anhaltspunkte dafür vor, dass den rechtlichen Regeln bei Verfahren gegen Justizangehörige und bei so genannten „clamorosen Fällen“ (gemeint § 8 StAG: „... an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht ... erfordern eine Berichtspflicht an die Oberstaatsanwaltschaft“), nicht korrekt entsprochen wurde. Es wird aber nicht von rechtswidrigen Weisungen gesprochen, sondern nur von „diffusen Weisungen“.
Kritisiert wird weiters die Medienarbeit der Justiz und letztlich wird der Schluss gezogen, dass Österreich mit seinem aktuellen Justizsystem heute nicht mehr EU-aufnahmefähig wäre. Weitere zentrale Kritikpunkte sind die Weisungsdichte, unklare Weisungen und die politische Weisungsspitze (also die Justizministerin oder der Justizminister). Der Bericht enthält daher unter anderem die Empfehlung, eine „Generalstaatsanwaltschaft“ als oberste Weisungsspitze einzurichten.
Die Reaktionen auf die Präsentation des „Pilnacek-Berichtes“ reichten von „haben wir ja schon immer gewusst“, bis „Kreutner will sein Antikorruptionsvolksbegehren aus dem Jahre 2021 aufwärmen“.
Die ÖVP verwies darauf, dass nicht nur sie, sondern auch die anderen Parteien interveniert hätten.
Die SPÖ sah die Notwendigkeit einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft als oberste Weisungsspitze.
Die NEOS bezeichneten den Bericht als längst überfällig und forderten Konsequenzen. Alma Zadic von den Grünen forderte eine Änderung der Vorgangsweise bei den „clamorosen Fällen“. Für die FPÖ bestätigte der Bericht, dass der „tiefe Staat der ÖVP“ tatsächlich existiere.
Der ehemalige Justizminister Dieter Böhmdorfer hält (wahrscheinlich zurecht) schon die Einsetzung der „Pilnacek-Kommission“ für gesetzwidrig, weil nach § 8 Bundesministeriengesetz solche Kommissionen nur „zur Vorbereitung und Vorberatung von bestimmten Geschäften“ eingerichtet werden dürfen. Dies treffe aber auf die Kommission nicht zu. Richtig wäre gewesen, gemäß § 78a GOG die innere Revision des Ressorts zu beauftragen.
Unabhängige Generalstaatsanwaltschaft. Die von der Justizministerin als Reaktion auf den „Pilnacek-Bericht“ geforderte Einrichtung einer von der Politik unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft würde gravierende Änderungen des B-VG erfordern, weil gem. Art. 20 B-VG die Verwaltung unter der Leitung der obersten Organe zu führen ist. Demzufolge ist der Justizminister für die Führung der Justizverwaltung und damit auch für die Staatsanwaltschaften zuständig.
Was die überbordenden Berichtspflichten betrifft, bliebe es auch einer Generalstaatsanwaltschaft nicht erspart, Berichte einzufordern.
Eine Generalstaatsanwaltschaft als Kollegialorgan würde die persönliche Verantwortung, wie sie eben der jeweilige Justizminister trägt, in der Anonymität des Gremiums zerrinnen lassen. Sie widerspräche dem Verfassungsprinzip, demzufolge die gesamte staatliche Verwaltung, zu der auch die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften zählt, nur unter der Leitung von obersten Organen ausgeübt werden darf. Die Sorge vor Interventionen darf nicht der Grund sein, um Grundprinzipien des österreichischen Verfassungssystems auszuschalten.
Zur Behauptung Martin Kreuters, dass Österreich mit seinem Justizsystem nicht mehr EU-aufnahmefähig wäre führt Böhmdorfer aus, dass dadurch der Eindruck entstehe, „dass er sich als Dirigent eines politischen Wunschkonzerts für Ministerin Zadic verpflichtet fühlt“.
Tatsächlich würde Österreich mit einer, in der Regierung angesiedelten Weisungsspitze der Staatsanwaltschaft, die für die neuen Mitgliedstaaten aufgestellten Kriterien für die Aufnahme in die Europäische Union, nicht erfüllen.
Ich selbst habe im Zuge der Diskussion um eine Reform der Strafprozessordnung bereits im Jahre 1993 eine stärkere Position des Staatsanwaltes und vor allem ein Verbot der „Einstellungsweisungen“ gefordert (A. Ellinger, Die Reform des Strafprozessualen Vorverfahrens, S 97, 108; 1993, Edition Rötzer).
Von den Staatsanwälten wurde die Einrichtung einer Generalstaatsanwaltschaft, als unabhängige staatsanwaltschaftliche Weisungsspitze, die eine bereits langjährige Forderung darstellt, begrüßt. Eine solche „Generalstaatsanwaltschaft“ müsse aber von der Politik rechtlich und tatsächlich unabhängig sein. Das bedeutet, dass staatsanwaltliches Handeln ausschließlich einer rechtlichen Kontrolle durch die unabhängigen Gerichte unterworfen sein darf.
Auch eine Einbindung der Politik, etwa durch ein einseitiges Abberufungsrecht hinsichtlich der staatsanwaltlichen Weisungsspitze ohne entsprechender Gerichtsentscheidung, aber auch im Wege einer „parlamentarischen Kontrolle“ laufender staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren und hinsichtlich nicht rechtskräftig abgeschlossener gerichtlicher Strafverfahren, muss zwecks Vermeidung jeglicher Anscheinsproblematik ausgeschlossen sein.
Vorwürfe undifferenziert und unzutreffend. Der Präsident des Obersten Gerichtshofs Georg Kodek, widersprach dem Kreutner-Bericht und brachte es auf den Punkt. Die Vorwürfe Kreutners seien undifferenziert und unzutreffend. Es sei ein unglückliches Bild, das bestimmte Passagen des Berichtes zeichnen, die teilweise wortgleich in dem von Kreutner 2022 initiierten Antikorruptionsvolksbegehren enthalten seien. Kreutners Aussagen über die Staatsanwaltschaften stellen allzu pauschale Unterstellungen dar.
Die Vereinigung der österreichischen Richter kritisierte die Verwendung des Begriffs „Zweiklassenjustiz“. Es sei völlig untergegangen, dass sich die Kritik des „Pilnacek-Berichts“ ausschließlich auf Vorgänge im Bereich der Staatsanwaltschaft und der Justizverwaltung beziehen und die unabhängige Gerichtsbarkeit davon gar nicht betroffen ist. Die pauschale und generalisierende Kritik an „der Justiz“ sei daher völlig unangebracht. Ungeachtet dessen, sollten die Empfehlungen der Kommission durchaus Beachtung finden.
Einerseits gilt es nun, möglicherweise auch durch erforderliche Änderungen der Bundesverfassung, des Staatsanwaltschaftsgesetzes und der Strafprozessordnung sicherzustellen, dass rechtswidrige Weisungen ausgeschlossen werden können, dass die Anklagebehörde bei entsprechend ausreichendem Verdacht, ungeachtet der Person des Verdächtigen, ungehindert von lediglich belastenden Berichtsaufträgen und frei von jeder politischen Einflussnahme ermitteln kann. Andererseits setzt das aber auch voraus, dass der Mehrbedarf der Justiz erkannt wird und die erforderlichen Ressourcen den Gerichten und Staatsanwaltschaften zur Verfügung gestellt werden.
Für mich ist Christian Pilnacek noch immer ein ehrenwerter Mann!
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