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Julia Brunhofer, Herbert Zwickl

Aus Frust wird Hass

Eine Handy-App macht sichtbar, was die Gesellschaft schon längst verspürt: Hass im Netz erlebt gerade in den letzten Jahren eine nicht gewollte Hochblüte. Wer sind die Opfer, wer die Täter und wie sieht die Gesetzeslage aus?

Der Frust gegen die Corona-Maßnahmen hat viele Gesichter. Die einen torpedieren gesetzliche Verordnungen, andere wiederum gehen beinahe wöchentlich auf die Straße, manche fälschen Impf- und Test-Zertifikate, um gesetzliche Vorgaben zu umgehen und immer mehr Menschen lassen ihren Frust im Internet freien Lauf. In der vermeintlichen Anonymität werden sie oftmals zu Straftätern. Immer öfter schlägt der Frust in Hass um – in Hass etwa gegen Menschen mit Migrationshintergrund oder mit einer Behinderung, gegen bestimmte Alters- oder Geschlechtsgruppen, oder einfach nur gegen Menschen, die sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten.


Hass melden via App. Das alles veranschaulicht eine App ganz besonders: die BanHate-App, die es als erste europaweit bereits seit 2017 ermöglicht, dass man genau diese Hasspostings unkompliziert und anonym melden kann. Alleine im Vorjahr wurden 2817 Hasspostings auf diesem Wege aktenkundig – und können damit von den Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Über 60 Prozent der hass­erfüllten Postings richten sich demnach gegen die Covid19-Maßnahmen, gefolgt von Verschwörungstheorien (42 Prozent) sowie fallen in den Bereich nationalsozialistische Parolen bzw. Wiederbetätigung (36 Prozent). Für die Initiatorin und Extremismus- und Antidiskriminierungsexpertin Daniela Grabovac ist die BanHate-App eine Art Seismograph für die hasserfüllte Stimmung in der Gesellschaft.

Corona scheint in diesem Feld der Kriminalität allerdings nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Das weiß etwa die Beratungsstelle Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit – kurz ZARA – nur zu gut. Hier gehen durchschnittlich pro Jahr an die 1.960 Meldungen ein. „Diese Meldungen sind nur ein Bruchteil dessen, was vorfällt, sie machen aber sichtbar, dass sich Hass im Netz häufig auf Merkmale oder Zuschreibungen wie ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Religion, Behinderung, soziale Herkunft oder Alter bezieht,“ so Mag.a Meike Kolck-Thudt der Pressestelle ZARA. „Die bei ZARA gemeldeten Vorfälle reichen von einzelnen Hasskommentaren wie rassistische und wiederbetätigende Postings auf Facebook, über das (von Betroffenen) ungewollte Hochladen und Verbreiten von Nacktfotos bis hin zu Cyber-Stalking, wo Betroffene über einen längeren Zeitraum mehrmals täglich Hassnachrichten erhalten, in denen ihnen Gewalt angedroht wird.“


Internet ist kein rechtsfreier Raum. Mit 1. Jänner 2021 trat in Österreich das Gesetzespaket „Hass im Netz“ in Kraft. Es bringt einen effektiveren Schutz vor Hasspostings. Mit diesem Maßnahmenpaket wurde klargestellt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, sondern auch hier unser Rechtsstaat gilt. Täter können somit leichter ausgeforscht, Postings schneller gelöscht werden, das Kostenrisiko für Opfer entfällt, auf den verschiedensten Plattformen finden sich transparente Meldeverfahren und bei Nichteinhaltung drohen empfindliche Geldbußen. Eines steht fest: „Hass im Netz ist eine Form von Gewalt und muss als solche sehr ernst genommen werden“, so Kolck-Thudt von ZARA. „Wenn menschenverachtende Inhalte als – oft falsch verstandene – Meinungsfreiheit abgetan oder verharmlost werden, oder statt dem Täter die betroffene Person für den Vorfall verantwortlich gemacht wird, kann das zu weiteren Verletzungen führen. Für direkt Betroffene kann Hass im Netz extrem belastend sein, das kann von Depressionen über posttraumatische Belastungsstörungen bis zu Suizidgedanken führen.“


Kein typisches Täterprofil. Wer glaubt, dass es dafür ein klassisches Täterprofil gibt, der irrt, wissen Christina Gabriel und Jörg Kohlhofer vom LKA Wien. Sie arbeiten eng mit den Mitarbeitern der Abteilung für Grund- und Menschenrechtliche Angelegenheiten im BMI (Abt. III/10) zusammen. „Aus dem Pilotbericht des BMI-Projektes ‘Systematische Ermittlung und Erfassung Vorurteilsbedingter Straftaten’ geht hervor, dass die meisten Hassdelikte – online wie offline – im Vergleich zu allen Tatverdächtigen im Jahr 2020, von Jugendlichen und jungen Straftätern begangen wurden. Die Gruppe an Personen, die aufgrund vorurteilsmotivierter Straftaten polizeibekannt wird, ist im Durchschnitt eher jünger, häufiger männlich und im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft“, so Gabriel. In ganz besonderem Ausmaß treffe dies für Verhetzungen und nationalsozialistische Wiederbetätigungen zu. Hasspostings können sich sehr rasch verbreiten und erreichen damit eine breite Öffentlichkeit – die Intensität der Wirkung der Botschaft erhöhe sich dadurch. „Hass im Netz kann sowohl eine zivilrechtliche Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen, aber auch einen Straftatbestand erfüllen, und somit unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen“, weiß Jörg Kohlhofer zu berichten.


Kein klassisches Opfer. Genauso wie es keinen typischen Täter gibt, gibt es auch kein typisches Opfer von Hasspostings. Niemand ist gefeit vor dieser hinterhältigen Art, Menschen zu erniedrigen. „Aus Erfahrung lässt sich jedoch sagen, dass jene Personen, die sehr aktiv in den sozialen Netzwerken unterwegs sind und vor allem sozialkritische Themen aufgreifen, verhältnismäßig öfter Opfer werden“, meint Jörg Kohlhofer.

Doch sich als Schutz einfach aus dem Internet zurückzuziehen, ist nicht die beste Wegesrichtung. Auch DI Barbara Buchegger M.Ed. von der Plattform saferinternet.at kennt den Ratschlag, „dann poste nichts, sag nichts, sei anonym und zieh dich aus dem Internet zurück“ nur zu gut. „Ich persönlich finde ihn keinen guten. Jene, die die ‘Goschen’ sowieso offen haben, gewinnen dann. Es geht darum, dass alle ihre Meinung äußern dürfen. Sich den Mund verbieten zu lassen, sah man ja auch schon früher öfters gerade bei Mädchen auf der Straße, jetzt hat sich das ins Netz verlagert.“

Auch der persönliche Frust im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie hat viele Menschen dazu ermutigt, das Internet als vermeintlich anonymes Ventil zu benutzen. „Hass im Netz betrifft die gesamte Gesellschaft“, so Kolck-Thudt von ZARA. „Diverse Studien zeigen, dass die meisten Menschen, die das Internet nutzen, bereits mit Hass im Netz konfrontiert waren. Das hat massive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft: Menschen gewöhnen sich an Online-Hass, verlieren an Empathie und wenden Hassrede in Folge selbst an – sogar das Aggressionspotential steigt laut Studien an.“ Hier sind besonders Erwachsene dazu aufgerufen, als gutes Beispiel voranzugehen.


Täter werden meist ausgeforscht. Eines steht jedoch auch fest: so anonym, wie man glauben mag, ist das Internet gar nicht, wie Dr. Karl Gladt von der Internet-Ombudsstelle weiß: „Auch wenn man nicht die Polizei ist, kommt man in 80 Prozent der Fälle drauf, wer das ist, weil es doch nicht so anonym ist.“ Aus taktischen Gründen hüllt man sich in Schweigen. Man wolle schließlich keine Betriebsanleitung geben, wie man im Netz ungestraft andere beschimpfen kann.

Auf alle Fälle handelt es sich bei Hass im Netz in den meisten Fällen um strafrechtliche Tatbestände. Also jene Straftaten, die der Gesetzgeber als Offizialdelikt erkennt und die von den Staatsanwaltschaften bloß durch einfache Kenntnis darüber verfolgt werden müssen.

„Es geht mal darum, um welche Art von Hasspostings es sich handelt – denn daraus ergeben sich unterschiedliche Tatbestände wie Cyberstalking, Cybermobbing, Verhetzung, Üble Nachrede oder Beleidigung“, so Gladt. „Damit hat man auch unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Bei letzteren handelt es sich etwa um Privatanklagedelikte, das bedeutet, ich muss mich wehren wie bei einer Zivilrechtsverletzung. Diese Privatanklage gegen den Beleidiger muss aber ich selbst einbringen. Bei den anderen, oder auch bei Rassismus, reicht es, zur Polizei zu gehen und es zur Anzeige zu bringen.“


Mehr Präventions-, Informations- und Bildungsarbeit. So wie in vielen Kriminalfällen ist wohl die Prävention der Schlüssel zu einer besseren Welt. Es geht um Aufklärung, also darum, Menschen klar zu machen, dass ihr Tun und Handeln im Netz alles andere als anonym ist. Dass jede getätigte Aussage oder Meinung im Internet genauso strafbar ist, als würde man sie im gesprochenen Wort tätigen. „Klar ist aber auch, dass der Kampf gegen Hass im Netz nicht nur auf individueller Ebene geführt werden kann“, sagt Kolck-Thudt von ZARA. „Es braucht deutlich mehr Präventions-, Informations- und Bildungsarbeit und gleichzeitig müssen die Plattformen endlich Verantwortung übernehmen.“

Dem kann auch Buchegger nur zustimmen: „Die Täter plagt oft Langeweile, sie können mit ihren Gefühlen nicht umgehen. Viele kennen die Grenze zwischen Spaß und Ernst nicht. Es geht hier viel um Gefühlskontrolle und um das Bewusstsein dafür. Je reflektierter Menschen sind, egal welchen Alters, und je mehr sie über die Auswirkungen von Hasspostings wissen, desto weniger machen sie es.“

Die österreichischen Schulen sind dazu angehalten, die 10- bis 14-Jährigen die „digitale Grundbildung“ zu vermitteln. Dabei geht es vor allem um das richtige Verhalten im Netz, aber auch um Gefahren im Internet. „Es wird als eigenständiges Fach momentan diskutiert, derzeit kann es nach dem Ermessen jeder Schule entsprechend eingebunden werden – in Deutsch, Sprachen, aber auch Informatik oder Zeichnen“ so Buchegger. „Auch im Rahmen der Cybermobbing-Prävention an Schulen werden Hass­pos­tings immer wieder thematisiert. Was schreibt man dort, wie geht man miteinander um, etc.“

Auch die österreichische Exekutive bietet zahlreiche Präventionsprojekte an. Und es gibt Gesetze im Kampf gegen Hass im Netz. „Durch das neue Hass-im-Netz Bekämpfungsgesetz erhalten Betroffene die Möglichkeit, ihre Rechte leichter durchzusetzen und eine rasche Löschung von Postings, welche gewisse Strafbestände erfüllen, zu erwirken“, so Christina Gabriel von der Kriminalprävention. „Im Rahmen eines gerichtlichen Eil-Verfahrens vor dem Bezirksgericht kann ohne vorhergehende Verhandlung ein sogenannter ‘Unterlassungsauftrag’ beantragt werden. Ein solches ‘Mandatsverfahren’ kann nicht nur gegen den Täter angestrengt werden, sondern bei erfolgloser Meldung auch gegenüber der Plattform selbst.“

Wenn der Täter oder die Plattform einen solchen Unterlassungsauftrag erhalten, muss das Posting sofort gelöscht werden. „Facebook und Instagram haben sich bereits an das neue österreichische Gesetz angepasst und verpflichten sich, einen rechtswidrigen Beitrag gemäß KoPl-G innerhalb von 24 Stunden zu löschen“, so Gabriel weiter. „Organisationen und Initiativen, die sich im Netzwerk ‘Hate Crime Kontern’ zusammengeschlossen haben, bieten Unterstützung und Auskünfte über Strategien gegen Hasspostings an.“

„Gegenrede (‘Counter Speech’) kann z. B. hilfreich sein, denn es bedeutet, dass man den Verfasser des Hate Posts konfrontiert, indem man ihn z. B. mit stichhaltigen Argumenten widerlegt“, meint Kohlhofer. Die Beamten der Kriminalprävention des Landeskriminalamtes (AB 04), führen auch Beratungen durch. Das Gewaltpräventionsprogramm „Click & Check“ des Bundeskriminalamtes mit der Zielgruppe Kinder/Jugendliche bis 17 Jahren beschäftigt sich insbesondere mit der digitalen Welt und enthält viele interaktive Übungen zum Thema Cybercrime. Die Gruppe „Digitale Sicherheit“ der Kriminalprävention bietet Kurzvorträge, Vorträge, interaktive Vorträge/Webinare sowie Workshops für die Zielgruppe Erwachsene an.


Rat der Kriminalprävention: Beweise sichern, z.B. durch Screenshots, Meldung an den Betreiber der Plattform und Löschung beantragen, unerwünschte Nutzer blockieren. Über Inhalte, die beleidigen oder herabwürdigen mit professionellen Beratern reden, sich bewusst vom „Shit-Storm“ fernhalten, nichts persönlich nehmen und sich keinesfalls schämen, Hilfe zu holen. Bei strafrechtlicher Relevanz Anzeige erstatten! Sollte Unsicherheit bestehen, ob ein strafrechtlicher Tatbestand wirklich vorliegt, können auch die Experten der Kriminalprävention kontaktiert werden, sind sich Gabriel und Kohlhofer einig.

Für saferinternet.at ist klar: „Hol dir Hilfe, versuch es nicht alleine zu lösen! Viele lassen sich mundtot machen, was nicht sein sollte.“

Und auch ZARA weiß: „Hasspostings können triggern, weh tun, einschüchtern und ermüden. Deswegen ist es wichtig, gut auf sich zu achten und sich gegebenenfalls Unterstützung zu holen. Denn niemand muss alleine mit Hass im Netz fertig werden!“







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