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70 Mordfälle in 20 Jahren

Rosemarie Pexa

Der LKA-Wien-Ermittler Victor Tulzer wurde für sein Lebenswerk mit dem Ernst-Hinterberger-Preis ausgezeichnet.


Victor Tulzer startete mit fünfzehn Jahren seine Laufbahn bei der Polizei.
Victor Tulzer startete mit fünfzehn Jahren seine Laufbahn bei der Polizei.

Die Liste der Morde und Mordversuche, Erpressungen, Raubüberfälle und Einbrüche, an deren Klärung Chefinspektor i. R. Victor Tulzer maßgeblich mitgewirkt hat, ist lang. Dazu zählen etliche besonders spektakuläre Fälle, etwa der Einbruchsdiebstahl der Saliera, der „Handgranatenmord“ oder der Raubmord an Juwelier Strobl. Tulzer wurde am 18. Oktober 2024 bei der Verleihung des Awards „Kriminalist des Jahres“ für sein Lebenswerk geehrt.

„Bis heute nicht bereut“ hat Tulzer seine Berufswahl, die ihn mit 15 Jahren zur Polizei führte. Im September 1980 trat er der Wiener Polizei als Polizeipraktikant bei, erste praktische Erfahrungen sammelte er von 1983 bis 1990 im Wachzimmer Dopschstraße in Floridsdorf. Dort lernte er eine breite Palette an Delikten kennen, von Mopeddiebstählen über Einbrüche bis zum Banküberfall. Nach dem GAL E2a wurde Tulzer der Abteilung I – staatspolizeiliche Abteilung / Referat 1 zugeteilt, wo er vor allem Aufgaben des Personen- und Objektschutzes übernahm.

Angesichts dieser als weniger interessant empfundenen Tätigkeiten kam ihm die Möglichkeit, ins damalige Sicherheitsbüro, Referat 2 – Einbruch, zu wechseln, gerade recht. 1992 bis 2004 war er als Sachbearbeiter mit allen Arten von Einbrüchen befasst. „Bei einem Einbruch kommt zum materiellen Schaden die psychische Belastung durch das Eindringen des Täters in die Privatsphäre“, gibt Tulzer zu bedenken. Als Ermittler sei man mit dem Schicksal des Opfers konfrontiert, müsse aber eine professionelle Distanz wahren.

 

Saliera. Als Sachbearbeiter im Sicherheitsbüro ermittelte Tulzer zum Einbruchsdiebstahl im Kunsthistorischen Museum am 11. Mai 2003, bei dem die Saliera, die einzige erhalten gebliebene Goldschmiedearbeit des Florentiner Künstlers Benvenuto Cellini, entwendet wurde. Der Täter Robert M., pikanterweise Inhaber einer Alarm­anlagen-Firma, stieg über ein Baugerüst ins Museum ein, zerschlug die Vitrine des berühmten Salzfasses und löste dabei einen Alarm aus. Dieser wurde jedoch vom Sicherheitspersonal des Museums ignoriert. Da der Täter so einfach entkommen konnte, hegten die Verantwortlichen des Museums laut Tulzer anfangs den Verdacht, ein Insider habe den Coup durchgeführt.

In der Folge veranstaltete Robert M. ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei und stellt für die Rückgabe der Saliera Lösegeldforderungen. Aus diesem Grund konnte Tulzer den Fall weiter bearbeiten, auch nachdem er in die Erpressungsgruppe gewechselt war. Anhand eines Fahndungsfotos wurde der Täter schließlich ausgeforscht. Er war geständig und führte die Ermittler in ein Waldstück bei Waldhausen im Bezirk Zwettl, wo er das Kunstwerk vergraben hatte. Er wurde wegen schweren Einbruchsdiebstahls zu vier Jahren Haft verurteilt, aber Ende 2008 vorzeitig bedingt entlassen.

 

Leib/Leben. Ab 2004 war Tulzer im Ermittlungsbereich 01 Leib/Leben des Landeskriminalamts Wien tätig, bis 2009 in wechselnden Funktionen als Sachbearbeiter und interimistischer Gruppenführer-Stellvertreter. 2009 wurde er zum Gruppenführer-Stellvertreter ernannt und 2016 zum Gruppenführer. Diese Position hatte er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2024 inne.

 

Handgranatenmord. Während seiner Zeit im LKA ermittelte Tulzer in mehreren aufsehenerregenden Fällen. Am 1. November 2014 sorgte der „Handgranatenmord“ für Schlagzeilen. Zwei Männer wurden in einem BMW in Ottakring ermordet, einer von ihnen, ein SPÖ-Politiker aus Oberösterreich mit bosnischen Wurzeln, durch Schüsse in Kopf, Schulter und Rücken. Das zweite Opfer, ein deutscher Geschäftsmann, kam bei der Explosion einer Handgranate im Fahrzeuginneren ums Leben. Als Täter wurden der kroatischstämmige Kristijan H., seine Schwester Renata und der Serbe Dejan V. ausfindig gemacht.

Auslöser für die Bluttat dürfte ein Streit um die Einnahmen aus illegalen Treibstoffgeschäften gewesen sein, an denen sowohl Täter als auch Opfer beteiligt gewesen waren. Gegen den Deutschen hatte die Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung bei Importen von Dieseltreibstoff ermittelt. Der Haupttäter Kristijan H. nannte Tulzer gegenüber als Grund für die Morde, dass ihn seine Geschäftspartner bedroht hätten. Ein interessantes Detail am Rande: Auch bei so schwerwiegenden Taten wie Mord kommt es vor, dass ein Täter für die korrekte und faire Behandlung dankbar ist – Kristijan H. schickt jedes Jahr eine Weihnachtskarte aus der Justizanstalt an Tulzer und seine Gruppe.

 

Mädchenmord. 2018 ermittelte Tulzer mit seinem Team im Mordfall an dem siebenjährigen tschetschenischstämmigen Mädchen Hadishat G. Am 11. Mai wurde die Siebenjährige, die mit ihrer Familie in einem Gemeindebau in Döbling wohnte, als vermisst gemeldet. Die Polizei fand ihre in Plas­tiksäcke gewickelte Leiche am darauffolgenden Tag in einem Müllcontainer im Hof des Hauses. Vier Tage später führten Spuren die Ermittler zu dem im selben Haus wohnenden Täter Robert K., einem 16 Jahre alten gebürtigen Tschetschenen.

Der Jugendliche war mit Hadishats Familie befreundet gewesen, es gab keine Hinweise auf einen Streit. Bei der Einvernahme gab er an, dass er schon die ganze Woche lang Wut in sich verspürt hatte. Er habe persönlich nichts gegen das Opfer gehabt und hätte zu diesem Zeitpunkt auch jemand anderen getötet. Emotionslos schilderte er den Tathergang: Als Hadishat G. – wie davor schon öfter – zu ihm auf Besuch kam, drängte er sie ins Badezimmer und stieß ihr ein Messer in den Hals. Anschließend beseitigte er die Spuren und entsorgte die Leiche.

 

Juweliermord. Auch beim Raubmord an einem Juwelier am 14. Oktober 2020 war ein Messer die Tatwaffe. Der Täter Ali G., ein Serbe, gab sich gegenüber dem 74-jährigen Inhaber des Juweliergeschäfts Strobl im 3. Bezirk als Kunde aus. Er kaufte einen Ring und ließ sich danach einige Ketten zeigen. Ali G. fügte dem Juwelier Stichverletzungen in Gesicht, Hals, Nacken und Brust zu und flüchtete mit mehreren Schmuckstücken sowie dem Revolver des Opfers. Während der Tat stand ein Komplize vor dem Geschäft Schmiere.

Passanten fanden den Juwelier schwerverletzt in seinem Geschäftslokal und riefen die Polizei. Die ersteintreffenden Poli­zis­ten und Rettungskräfte führten Reanimationsmaßnahmen durch, doch der Mann verstarb noch am Tatort. Ali G. wurde an der serbisch-ungarischen Grenze festgenommen und an Österreich ausgeliefert. In Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsbereich Raub konnten ihm weitere Fakten, darunter ein Juwelierraub, drei Home-Invasions und zahlreiche Einbruchsdiebstähle, nachgewiesen werden. „Die Kollegen haben in penibler Arbeit Videos gesichtet und die Autokennzeichen bei Grenzübertritten ausgewertet“, so Tulzer.

 

Terroranschlag. Während die Ermittlungen zum Juweliermord noch andauerten, ereignete sich am 2. November 2020 der Terroranschlag in Wien. Der Täter tötete vier Personen und verletzte 23 weitere teils schwer, bevor er von Kräften der WEGA erschossen wurde. Tulzer erinnert sich: „Es war eine stressige Nacht, die ganze Gruppe war im Einsatz. Wir haben die Angehörigen der Todesopfer kontaktiert und die Hinterbliebenen betreut.“ Danach waren Tulzer und seine Kollegen gemeinsam mit dem Landesamt Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung mit der Aufarbeitung des Terroranschlags befasst.

 

Machetenmord. Am 20. April 2023 kam es in der Brigittenau zu einem Mord in der sogenannten Maghreb-Suchtgiftszene. Sowohl das Opfer, Djaafar H., als auch die vier an dem Mord beteiligten Männer stammten aus Algerien, hielten sich illegal in Österreich auf und gehörten derselben Gruppe an, die in Wien Drogen verkaufte. Djaafar H. stand in der Hierarchie über den vier anderen, die als Streetrunner tätig waren und sich von ihm um den ihnen zustehenden Anteil am Erlös aus dem Suchtgifthandel betrogen fühlten.

Die Täter griffen Djaafar H. vor der U6-Station Jägerstraße mit Messern und einer Machete an. Das Opfer erlitt einen Schädelbruch sowie mehrere Hieb- und Stichwunden, dabei wurden ihm die linke Hand und der rechte Unterschenkel fast abgetrennt. Der Schwerverletzte verstarb nach Einlieferung ins Krankenhaus. Einer der Täter konnte, nachdem er auf der Flucht in den Donaukanal gesprungen war, verhaftet werden. Die drei anderen wurden nach Ermittlungen durch Tulzers Gruppe in Frankreich ausgeforscht, dort festgenommen und nach Österreich ausgeliefert.

 

Ermordete Bauarbeiter. Heuer im Juli ermittelte die Gruppe Tulzer zu zwei Morden unter Bauarbeitern. Ein Arbeiter aus Tschechien und zwei slowakische Kollegen waren im Alsergrunder Hotel Bellevue gegenüber der Baustelle am Franz-Josefs-Bahnhof untergebracht. Nachdem einer der beiden Slowaken aus dem Fenster seines Hotelzimmers gestürzt war, bestand vorerst die Vermutung, dass es sich um einen Unfall gehandelt hatte. Kurz danach wurde der zweite slowakische Bauarbeiter in seinem Hotelzimmer mit schweren Kopfverletzungen tot aufgefunden; der Tscheche hielt sich nicht mehr im Hotel auf.

Der Fall konnte rasch geklärt werden. Es wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen, eine tschechische Spezialeinheit nahm den Tatverdächtigen noch am selben Abend in seiner Heimat fest. Bei der Vernehmung gestand der Mann die Tat. „Er hat geglaubt, dass ihn seine Kollegen umbringen wollten. Den ersten Kollegen hat er niedergeschlagen und bewusstlos aus dem Fenster geworfen, den zweiten erschlagen“, schildert Tulzer.

Die Bauarbeiter-Morde waren Tulzers letzte Mordfälle vor der Pensionierung. In seiner 44-jährigen Dienstzeit bei der Polizei erhielt er für besondere Verdienste im Zuge seiner kriminalistischen Arbeit insgesamt 37 Belobigungen und Auszeichnungen. Mit dem Ernst-Hinterberger-Preis 2024 würdigte die Vereinigung der Kriminalisten bereits zum zweiten Mal seine Leistungen – 2022 war er mit seinem Team für die Aufklärung des Juweliermordes zum „Kriminalisten des Jahres“ gekürt worden.         










 

 

 

 

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